Wenn auch religiöse Minderheiten heute in Europa weitgehend verfassungsmäßig eine Gleichstellung erhalten haben, der säkularisierte Staat vom Gleichheitsprinzip ausgeht und sie rechtlich nicht länger in Kirchen und Sekten einteilt, besteht doch in der öffentlichen Meinung nach wie vor eine gravierende Kluft zwischen Idee und Wirklichkeit. Die Begründung dazu liegt darin, daß weitgehend die rechtliche Gleichstellung nicht von den Kirchen, sondern von den weltlichen Behörden herbeigeführt wurde, und daß erstere, im Gegensatz zu den amerikanischen Kirchen, diesen Wandel weder bewußt nachvollzogen haben noch dieses Erbe gemeinsam tragen und verteidigen. Jüngste Erfahrungen im Umgang mit den neuen religiösen Bewegungen und Kulten der Gegenwart lassen dies besonders erkennen, da plötzlich wieder alte Voreingenommenheiten aufleben und auch wieder etablierte Religionsgemeinschaften in die ,,Sektenszene'' eingereiht werden. Begriffe wie ,,Sektenkunde'' und ,,Sektenbeauftragte'' bekommen Aufwind und tragen in der Öffentlichkeit nicht unbedingt zu einer Beruhigung bei, zumal wieder alle Minderheiten Gefahr laufen, als Sekten betrachtet zu werden. Dabei wird dieser Begriff weniger religionswissenschaftlich oder konfessionskundlich angewandt, sondern trägt eher polemisch-tendenziöse Schattierungen der Abwertung und somit einer Diskriminierung. Zu einem großen Teil geht dieses Bild auch auf die Darstellung in den Massenmedien zurück, die sich für viele Menschenrechte vorbildlich einsetzen, im Fall Religionsfreiheit aber noch nicht den nötigen Wandel konsequent nachvollzogen haben. Somit bleibt sich letztlich in Europa in ihrer Verteidigung jede religiöse Minderheit selbst überlassen.
(,,Religionsfreiheit'' in Europa heute, Toleranz und Repression, Campus Verlag, S. 47)
(Evangelische Kommentare, April 1982, S. 189f)
Die Regelungen des österreichischen Staatskirchenrechts in unserer Frage entstammen verschiedenen Epochen. Den Anfang setzte das Staatsgrundgesetz 1867 über die Rechte der Staatsbürger (Art. 14-16). Es wurde 1945 durch das Verfassungsüberleitungsgesetz in die Rechtsordnung der 2. Republik übernommen. Neue Akzente wurden durch den StVStGermain (Staatsvertrag von St.Germain, insbesondere Art. 63 Abs. 2) und vor allem durch die MRK (Menschenrechtskonvention) gesetzt (Art. 9).
Es ist zu unterscheiden zwischen gesetzlich anerkannten Religions-, nicht anerkannten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Nur die gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften sind Körperschaften öffentlichen Rechts und als solche auch rechtsfähig. Die Weltanschauungsgemeinschaften können sich als Vereine nach dem Vereinsgesetz konstituieren und dadurch Rechtsfähigkeit erlangen. Sie unterliegen dann allerdings auch dessen Polizeiaufsicht. Da Par. 3 lit.a. Vereinsgesetz 1951 die Anwendung dieses Gesetzes auf Religionsgesellschaften überhaupt ausschloß und nach herrschender Lehre wohl auch ausschließt, können die nicht anerkannten Religionsgemeinschaften nur sogenannte Hilfsvereine nach dem Vereinsgesetz bilden. Die gegenteilige Auffassung wird von Höslinger, Ermacora, Gampl und jetzt auch Melichar, Fessler-Kölbel, Schultschik und Aicher vertreten. Die Praxis des Bundesministeriums für Inneres als Vereinsbehörde hat gelegentlich die Bildung von ,,Sekten'' als Vereine zugelassen, besonders um die Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu vermeiden. Das Bundeskanzleramt/ Verfassungsdienst hat sich aus dem gleichen Grund dieser Auffassung angeschlossen. Das Ministerium für Unterricht und Kunst/Kultusamt wandte sich grundsätzlich gegen eine solche Praxis. Die Praxis der Vereinsbehörden ist nicht einheitlich. Vielfach werden solche Vereinsbildungen abgelehnt bzw. Änderungen der eingebrachten Statuten erfolgreich empfohlen.
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Neben der bis heute also offenen Frage der Korporationsqualität der gesetzlich nicht anerkannten Religionsgemeinschaften und der ebenso offenen Frage, ob das Recht der Kultusfreiheit nach Art. 63 (2) StVStGermain auch ein Kollektivrecht sei, scheint es sinnvoll, auf die Frage der Gleich- bzw. Ungleichstellung der gesetzlich anerkannten und gesetzlich nicht anerkannten Religionsgemeinschaften einzugehen. Der individuell gewährleistete Freiheitsbereich der Anhänger eines gesetzlich nicht anerkannten Bekenntnisses ist nämlich durch die einschlägigen Bestimmungen des österreichischen Staatskirchenrechts so umfangreich, als er durch individuelle Rechte nur irgendwie gewährleistet werden könnte. Das beweist eine Gegenüberstellung der Rechte der gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften und der Anhänger der nicht anerkannten Religionsgemeinschaften. Beide haben das Recht der öffentlichen Religionsausübung (Art. 15,1. Halbsatz StGG; Art. 63 Abs. 2 StVStGermain), der selbständigen Ordnung und Verwaltung der ,,inneren'', das heißt der die Religion und Religionsgemeinschaft betreffenden Angelegenheiten, das Recht ,,auf eigene Kosten Wohltätigkeits-, religiöse und soziale Einrichtungen, Schulen und andere Erziehungsanstalten zu errichten, zu verwalten und zu beaufsichtigen'' (Art. 67 StVStGermain; analog Art. 15, 3. Halbsatz StGG). Beide stehen aber in ihrem Wirken grundsätzlich unter dem Vorbehalt der öffentlichen Ordnung, worauf noch einzugehen ist. Ungleichstellung besteht in folgenden Bereichen: Ausschließlichkeitsrechte, Religionsunterricht, Begünstigungen abgabenrechtlicher Natur u.a.. Dies gilt auch für die religionsbezogene Weltanschauung.
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So ist zum Schluß angebracht, erstens auf die Notwendigkeit eines Ausführungsgesetzes zu Art. 16 StGG zu verweisen, das den gesetzlich nicht anerkannten Religionsgemeinschaften die Möglichkeit bieten sollte, sich als Rechtspersönlichkeit zu konstituieren, ohne der gegenüber Religionsgemeinschaften verfassungsrechtlich bedenklichen Polizeiaufsicht des Vereinsgesetzes zu unterliegen.
(Zur Rechtsstellung der ,,Sekten'' in Österreich, Oekumenisches Forum, Grazer Hefte für konkrete Ökumene, Nr. 7, 1984, S. 29f, 38)
(Die Stellung der gesetzlich nicht anerkannten Religionsgesellschaften in Österreich, Gewissen und Freiheit, 1983, S. 19f)
Für den einzelnen Menschen und die Kirchen und die Kreise und Organisationen, die sich lebhaft gegen die in der Tat bisweilen problematischen religiösen Praktiken wenden, ist wichtig, daß sie sich vor Augen halten, daß nichts weniger hilfreich ist als der Ruf nach dem Staat als Nothelfer. Man kann nicht Religionsfreiheit für jedermann fordern und gleichzeitig nach dem Staat rufen, wenn von der Entscheidungsfreiheit ein törichter oder schädlich erscheinender Gebrauch gemacht wird. Gegen die in der Tat oft bedrohlichen religiösen Erscheinungen hilft nicht die Polizei und nicht der Amtsrichter, sondern ein geordnetes Leben. Feste Grundsätze im eigenen Leben, eine nicht nur im Munde geführte religiöse Überzeugung, ein entsprechendes Ehe- und Familienleben sind das einzige, was der Jurist als Rat geben kann. Gewiß kann die Polizei darauf achten, daß junge Leute nicht unter dem Vorwand religiöser Mission arbeitsrechtlich ausgebeutet werden, daß die jungen Helfer ordnungsgemäß sozialversichert werden, daß der Vertrieb von Schriften nicht als ein großes Geschäft unter dem Vorwand religiöser Betätigung betrieben wird. Das alles trifft die Sache aber nur am Rande. Entscheidend ist, daß diesen Erscheinungen eine feste religiöse Haltung und ein missionarischer Wille entgegenwirken. Für den Juristen ist es oft überraschend, welche Erwartungen Menschen ihm hier entgegenbringen. Er kann aber den einzelnen nur auf seine eigene religiöse Aufgabe, die Kirche auf ihren missionarischen Auftrag verwiesen.
(Religionsfreiheit ist unteilbar, Lutherische Monatshefte, Nov. 1984)