Die individuelle geistige, psychische und emotionale Reife jedes Ehepartners ist unabdingbar für eine erfolgreiche Beziehung. Auch die romantischste Ehe und froheste Elternschaft kommen nicht ohne Konfliktüberwindung, bedingungsloses Geben und persönliche Opfer aus. Durch einen Lebensstil, der das Erlernen von Gebens- und wahren Liebesfähigkeiten fördert, können wir unsere konstruktiven Charakteraspekte stärken und unsere wahre Persönlichkeit entdecken.
Die von den Religionen angeratene Keuschheit ist von großer Bedeutung - so ihr Sinn verstanden wird und sie auf einen bestimmten Lebensabschnitt bezogen bleibt. Vor der Ehe sexuell enthaltsam zu leben, ist aus einer ganzen Reihe von Gründen ein hochrangiges ethisches Gebot:
Wir Menschen haben uns durch selbstzentrierte, unreife Liebe von Gott abgeschnitten und Sein Herz gebrochen. Dieser für Gott und Mensch unerträgliche Zustand darf nicht fortgeschrieben werden; jeder Mensch kann Gottes Herz ein Stück weit heilen, indem er die Beziehung zu Gott höher stellt als jede andere und als primäre Beziehung selbständig entwickelt. Dazu gehört es, das ursprüngliche Gebot Gottes, ergangen an die ersten Menschen, zu befolgen. Voreheliche Keuschheit gehört zur Versöhnung des Menschen mit Gott.
Eine echte Liebesbeziehung beeinflußt ein Individuum tiefgreifend und stellt höchste Anforderungen an die Persönlichkeit. Um dem gewachsen zu sein und die Liebe in Geist und Körper wahrhaft genießen zu können, bedarf es persönlicher Qualifikationen. Der Körper reift ohne individuelles Dazutun zur Liebesfähigkeit heran, nicht jedoch der Charakter. Die und der einzelne muß, um sich zu einer wahren Liebe zu qualifizieren, zunächst alle Energien auf geistige und charakterliche Entwicklung richten und Geist und Körper in Einklang bringen, so daß Liebe das ganze Selbst erfassen kann. Die sexuelle Vereinigung mit einem Gegenüber bringt es weiter mit sich, daß jeder Partner vom anderen auch innerlich beeinflußt wird. Eine selbst-schwache Person kann durch diese Erfahrung schweren Schaden erleiden. Hingegen kann der durch Einheit von Geist und Körper gestärkte Mensch - und das heißt, daß der Körper vom Geist regiert wird und nicht umgekehrt -, Liebe intensiv erfahren, ohne an ihr zu zerbrechen oder den Partner durch eigene Unreife zu zerstören. Sexuelle Enthaltsamkeit während der eigenen Reifezeit schützt die persönliche Integrität.
Das ekstatische Verschmelzen zweier Individuen in der Liebe vollzieht sich im Geistigen noch viel intensiver als im Physischen. Wahre Liebe ist die größte universale Kraft; sie verbindet zwei Individuen so unmittelbar wie Geist und Körper im Individuum untrennbar zusammengehören. Wer dieses Ideal umsetzen will, der wird mit Leib und Seele nach dieser Einheit streben, die sich in lebenslanger ehelicher Treue graduell vollzieht. Während das physische Verschmelzen und seine Freude sich in einer Explosion des Augenblicks ereignen, verwirklicht sich die geistige Vereinigung auf lange Sicht und bringt eine stetige, langsam wachsende Erfüllung. Beide Erfahrungen ergänzen und fördern sich gegenseitig. Das Ideal dauernder wahrer Liebe und die Freude tiefer ehelicher Vereinigung sind den Preis vorheriger Enthaltsamkeit tausendmal wert.
Liebe ist eine Handlung, die neues Leben hervorbringt und hervorbringen will. Elternschaft ist ein weiterer, sehr anspruchsvoller Lernprozeß für Mann und Frau, auf den das Individuum gut vorbereitet sein sollte. Wer vorzeitig Elternschaft verwirklicht, ohne die Qualifikation individueller Reife, beeinträchtigt von vornherein die Chancen seines Kindes, sich gesund auf die eigene Persönlichkeit und Liebesfähigkeit hin zu entwickeln. Voreheliche sexuelle Enthaltsamkeit ist in diesem Zusammenhang weit mehr als ein Schutz vor Krankheiten und unerwünschter Schwangerschaft - diese disziplinierte Keuschheit ist eine Vorbedingung, um sich selbst so zu entwickeln, daß man für elterliche Verantwortung reif wird. Voreheliche Selbstdisziplin ist eine wichtige Vorbereitung auf verantwortliche Elternschaft.
Insgesamt kann nicht genug betont werden, daß es der große Wert der Liebe, auch der sexuellen Liebe, ist, der als Rückgrat hinter dieser Auffassung steht. Dieser überragende Wert und nicht eine Ablehnung des Körpers macht es zum Imperativ, sich auf die Liebe gründlich vorzubereiten und in dieser Phase keusch zu leben. Logisch, daß eine so vorbereitete Ehe als lebenslange Gemeinschaft gedacht wird. Eheliche Treue ist in einer Beziehung wahrer Liebe nicht ein von außen kommendes moralisches Gebot, sondern Ausdruck unauflöslicher Einheit, vergleichbar der geistig-physischen Integrität des Individuums. Diese Einheit ist also ein veritabler "one-life-stand", dynamisch, erfüllend, ewig und im wahren Sinne erotisch. Als Beispiel für dieses Verständnis sei hier noch einmal der Gründer der Vereinigungskirche zitiert, der freimütig erklärt:
"Wo lebt Gott? In dem Ort, an dem wahre Liebe vollzogen wird. Wo ist das? (Im Liebesorgan.) Im Ort größter und höchster Heiligkeit. Wir sollen dies zum Heiligtum wiederherstellen und auf ewig beschützen... Als Ehemann und Ehefrau sollten wir uns voreinander in Dankbarkeit für diesen Ort des Partners verneigen. Dieser Ort ist der Ausgangspunkt des Himmelreichs auf Erden und im Jenseits. Ohne diesen Ort kann das Himmelreich auf Erden nicht zustande kommen. Freude, Hoffnung, Frieden und Freiheit wollen alle auf dieser Basis gedeihen. Doch ohne diesen heiligen Ort kann keines dieser Konzepte Realität werden." 18
Des weiteren betrifft das unifikatorische Keuschheitsgebot Männer wie Frauen und unterscheidet sich damit himmelweit von jenen geschichtlichen Konstellationen, die Männern alle Unmoral zugestanden und an Frauen höchste moralische Anforderungen stellten. Eine vertretbare Begründung für diese Doppelmoral gab es nie, und Frauen empfanden diese "männerfreundliche" Ordnung zurecht als unterdrückerisch und ungerecht.
Die erste Liebe wird in der Dichtkunst immer wieder als erdbebenstarker, vulkanheißer und unvergeßlicher Beginn eines eigenen neuen Lebens beschrieben. Nur birgt erste Liebe weit mehr als emotional-hormonale Wallungen: Seelenverwandtschaft, gegenseitige Ergänzung, Herausforderung durch das im Gegenüber ganz andere, gemeinsame Ideale und Lebensziele, der Wunsch und Wille, alles geben zu können - viele Elemente können und sollten uns zusätzlich zu unseren romantischen Gefühlen in die erste Liebe führen. Eine gute Vorbereitung auf die erste Liebe gehört bedauerlicherweise bis heute nicht zu den vorrangigen familialen oder gesellschaftlichen Erziehungszielen.