Eine versteinerte Welt

Die Liebe wurde im Anbeginn korrumpiert und konnte nie zu dem erblühen, was sie sein sollte. Die Kinder Adams und Evas, alle menschlichen Generationen, hatten die Folgen zu tragen: wir fühlen uns von Konflikten in unserem Inneren zerrissen, wir sind über jedes Maß selbstsüchtig und eng begrenzt in unserer Fähigkeit, Liebe zu geben und zu empfangen.

Aus dieser Wurzel entwickelte sich die menschliche Geschichte und versteinerte zu einer bis auf den heutigen Tag an Verwirrung le idenden Welt. Unser Wissen um die Natur des menschlichen Falls hat weitreichende Konsequenzen für die Art, in der wir uns selbst sehen, unsere Beziehungen gestalten und unsere Kinder erziehen.

Obwohl der Impuls zur physischen Vereinigung im biologischen Programm des Menschen tief verankert ist, ist die menschliche Liebe weit mehr als ein genetischer Prozeß. Liebe ist die höchste Fähigkeit, die geistig reife Seelen auszeichnet. In der Vorbereitung für diese Liebeskraft ist die Adoleszenz eine Phase, in der sich der Charakter und das Herz eines Menschen entfalten sollten. Teenager sind in aller Regel idealistisch, sensibel, romantisch und zur Hingabe bereit. Dies sind Zeichen dafür, daß sie sich darauf vorbereiten, mit Körper, Geist und Seele zu lieben. Jede verantwortliche Erziehung muß den umfassenden Aspekt der Liebe würdigen, ihren Wert schützen und diesen Reifungsprozeß fördern.

Vor der Ehe sollte ein junges Individuum einer noch geschlossenen Blüte gleichen, sich sexuelle Reinheit bewahren und diese Kraft im Kern ihres Wesens hüten. Jeder Jüngling sei ein reiner Adam, jede junge Frau sei eine reine Eva. Wahrhaftig, Reinheit und Keuschheit sind die besten Voraussetzungen für die Erfüllung des Menschen in einer un-wandelbaren ewigen Liebe. In Menschenbildern und Erziehungskonzepten des 20. Jahrhunderts jedoch wurde die Haltung vertreten, Sex sei eine schlichte biologische Notwendigkeit. Diese Erziehungskonzepte hatten oft die noch nicht einmal gewollte Folge, daß unreife und vorzeitige sexuelle Erfahrungen und Promiskuität für normal galten. Eigentlich vermehrten diese Erziehungskonzepte noch die Probleme, die sie zu lösen suchten.

In der Mehrzahl bemühen sich die Autoren sexualkundlicher Lehrwerke darum, einen unverkrampften, natürlichen Umgang mit der eigenen Sexualität und einen respekt- und liebevollen Umgang mit dem anderen Geschlecht zu vermitteln. Da in den meisten gegenwärtigen Aufklärungsschriften jedoch der Liebesdurst, diese die ganze Person erfassende, aufwühlende Kraft, von der Sexualität isoliert oder als bloßes physisches Bedürfnis definiert wird, werden sie ihrer Aufgabe nicht gerecht.

In der Phase der "sexuellen Revolution" befolgten viele junge Menschen einen ideologischen Imperativ der Bindungsunfähigkeit: Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment. Wie wir heute wissen, wurde aus dieser Verdammung jeglicher Moralbindung nachher de facto eine Diktatur des Körperlichen. Maßgebliche gesellschaftliche Kräfte von links wie von rechts beklagen heute diese Fehlentwicklungen, die Mitschuld tragen am Konsumismus und der inneren Kälte unseres Jahrzehnts. Hinwendung zur Treue und vorehelichen Enthaltsamkeit aus Gründen der Selbstachtung sind vielbeachtete Gegentrends. Nichtsdestoweniger gibt es noch heute Denkmodelle, die gemäß der pubertär-ideologischen Linie von damals eine Spaltung zwischen Liebe und Sexualität, Geist und Körper, Innen und Außen, Mensch und Mensch propagieren.

Dennoch fallen heute die Aktien frei konsumierbarer Sexualität. Als erster Schock nach der sexuellen Revolution erschütterte AIDS die innere Sicherheit jener Menschen, die in der Annahme gelebt hatten, mit Pille und ohne Moral sei zwischengeschlechtlich alles erlaubt und hemmungsloses Partnerhüpfen so risiko- wie folgenfrei. Eine zweite – und im Gegensatz zur ersten positive – Entwicklung könnte allerdings das mit der Masche sexueller Beliebigkeit gehäkelte Weltbild noch gründlicher aufriffeln als die AIDS-Gefahr. Die besten Orgasmen finden sich nämlich in der Ehe!

Das österreichische Magazin Profil hat zum Jahreswechsel 1994/95 festgestellt, daß "den modernen Menschen die Lust auf die Lust vergangen"14 sei. Das deutsche Magazin Focus notiert in seinem Jahresrückblick ´94 als zentrales Ereignis in der Rubrik "Modernes Leben", die erste(!) repräsentative Studie zum Sexualleben der US-Bevölkerung habe die "Fama vom modernen Sexmaniac" über den Haufen geworfen. Während 83% der US-Bürger innerhalb eines Jahres höchstens einen Sexualpartner hatten, entsprach nur eine Minderheit von 4,1% der Männer und 1,6% der Frauen dem Klischee vom wilden Leben mit vielen Partnern.15 Insgesamt findet Sex nicht nur weit häufiger in der Ehe statt als in sogenannten one-night-stands; eheliche Sexualität bietet auch die größten Chancen für eine intensive Erregung. Lapidar heißt es in der Studie: "Ehepaare haben am häufigsten Verkehr und empfinden das meiste Vergnügen dabei." Nach Angaben dieser von namhaften Wissenschaftlern 16 erarbeiteten neuen US-Studie haben frühere Umfragen wie der Kinsey-Report sich auf Aussagen von Freiwilligen und Studenten gestützt, die mit Sicherheit nicht repräsentativ waren.

Kurz gefaßt, das Paradies entspringt aus verfügbarer Nacktheit und "freier" Sexualität ebensowenig wie aus vergesellschafteten Produktionsmitteln oder totaler Weltverneinung, und die Menschen haben´s gemerkt. Völlige Lebensausrichtung auf Körper und Sex führt in Sackgassen, noch toter als der Sowjetkommunismus.

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