Woran sich interreligiöser Dialog in Zukunft orientieren sollte, erläuterte der Metropolit von Delhi der syrisch-orthodoxen Kirche, Paulos Mar Gregorios, in einem Vortrag in Rom. Mar Gregorios war einer der Präsidenten des Ökumenischen Weltrates der Kirchen. Er ist auch Präsident der im August 1991 offiziell gegründeten Interreligiösen Föderation für Weltfrieden. Diesen Vortrag hielt Bischof Gregorios bei einem vorbereitenden Treffen der Interreligiösen Föderation für Weltfrieden im April 1991.
Meine sehr verehrten Freunde,
ich bin sehr dankbar für diese Gelegenheit, mit ihnen mein Anliegen für eine globale Zusammenarbeit der Religionen zu teilen. Es geht nicht nur um Dialog, sondern darum. daß wir uns zusammen auf bestimmte Ziele für die Menschheit zubewegen. Was ich heute übermitteln möchte, ist nicht bindend für die Interreligiöse Föderation für Weltfrieden (IRFWF). Ich bringe hier meine persönliche Ansicht zum Ausdruck.
Ich bin mit dem Weltrat der Kirchen und der Arbeit des Dialogs mit Menschen anderen Glaubens seit 1954 verbunden. Aber besonders auf Seiten des europäischen Christentums finde ich noch eine gewisse Ängstlichkeit, in einen vollen Dialog mit anderen Religionen einzutreten. In den Köpfen der Menschen ist die Angst, daß es einen Kompromiß bezüglich der eigenen Überzeugungen bedeutet, wenn man Gespräche mit anderen Religionen führt. Ich kann ihnen versichern, daß im Weltrat der Kirchen diese Sichtweise ein sehr hemmender Faktor war. wir hätten im Dialog schon viel weiter kommen können, wenn das europäische Christentum nicht so stark gebremst hätte.
Ich halte die IRFWF aus zwei Gründen für ein sehr nützliches Forum. Erstens: die IRFWF ist nicht zurückhaltend. Sie ist bereit, mutig in die Arena der Weltreligionen einzutreten und die Folgen, wie immer sie aussehen rnögen, zu tragen, anstatt Angst zu haben vor Synkretismus und deshalb sich Zurückhaltung aufzuerlegen.
Zweitens: ich habe bemerkt, daß Christen, wenn sie Dialogtreffen organisieren, gewöhnlich eine strenge Kontrolle ausüben. Sie entscheiden, welche Personen eingeladen werden, sie wählen die Themen aus und beobachten die Diskussionen sehr genau. Nichtchristen fühlen sich deshalb sehr gehemmt, weil die Christen diese Veranstaltungen entsprechend ihren Kategorien und ihrer art dominieren. Die Flexibilität der IRFWF ist ein Aspekt, den ich von Anfang an geschätzt habe. Die IRFWF aßt die Leiter anderer Religionen die Initiative ergreifen, statt zu verlangen, ich einem von Christen festgesetzten duster anzupassen.
Aus diesen zwei Gründen wurde ich in begeisterter Befürworter der vor Kurzem gegründeten Interreligiösen Föderation für den Weltfrieden. Ich bin ,in Befürworter, aber ich bringe noch licht die offizielle Sichtweise dieser Organisation zum Ausdruck, die ja noch licht genau formuliert ist. Ich hoffe, daß wir erst nach ausgiebigen Diskussionen nit Vertretern anderer Religionen über die grundlegende Struktur und Orientierung der IRFWF entscheiden.
Als zweites möchte ich betonen, wie irreführend das Wort Dialog sein kann. ich habe einige meiner Freunde, sehr Gebildete Leute, gefragt, was sie unter dem Wort "Dialog" verstehen. Zu meiner Überraschung antworteten einige, Jaß Dialog bedeute, daß zwei Menschen miteinander konversieren. Nun, ich denke, daß Dialog nichts mit zwei zu tun hat. Das "Dia" in Dialog hat nichts mit duo zu tun, was zwei bedeutet. Es bedeutet"dialeghe", d. h. sprechen, sich unterhalten, argumentieren, indem alle Aspekte eines Problems betrachtet werden, wobei man sich gegenseitig korrigiert und zusammen weitergeht. Der ökumenische Dialog wurde beim zweiten Vatikanischen Konzil eingeleitet. Papst Paul VI. legte großen Wert auf Dialog sowohl mit der orthodoxen Kirche als auch mit anderen Christen.
Die eigentliche Bedeutung von Dialog das Finden eines gemeinsamen Weges in der Wirklichkeit durch das Lösen der Probleme mit denen wir konfrontiert sind ist die, die auch wir uns zu eigen machen. Dialog bedeutet zusammenkommen, sich zusammen vorwärtsbewegen, nicht nur miteinander reden. Er bedeutet, Ziele am Horizont zu erkennen und sich gemeinsam darauf zuzubewegen. Das ist es, was ich im Zusammenhang mit interreligiösen Beziehungen sehen möchte.
Drittens gibt es für Christen auch ein theologisches Problem hinsichtlich der Beziehung zwischen Verkündigung und Dialog. Im Weltrat der Kirchen haben wir viel Tinte und noch mehr Worte gebraucht wegen dieses Antagonismus zwischen Mission und Dialog. Das Problem wird oft "gelöst", indem der Dialog der Mission untergeordnet wird, was für Nichtchristen große Probleme schafft. Ich erinnere mich, daß wir vor langer Zeit, es war 1955, einen Dialog mit Hindus im Himalaja führten. Ich war noch ziemlich jung, und alles war recht neu für mich. Während einer Kaffeepause da findet richtiger Dialog statt, da während der Sitzungen nur Ansprachen gehalten werden sagte ein Hinduprofessor zu mir: "Sie scheinen ein ehrlicher Mann zu sein, kann ich ihnen eine Frage stellen? Wenn ihr Christen über Dialog sprecht, tut ihr das, weil eure Evangelisationsversuche in der Vergangenheit fehlgeschlagen sind und ihr nun eine neue Taktik probieren wällt?" Ich denke, daß das teilweise für den Dialog der Christen mit anderen Religionen zutrifft. Weil wir in unserer Mission nicht erfolgreich waren, versuchen wir nun, mit Hilfe von Dialog eine Kommunikation herzustellen. Viele offizielle Erklärungen von Christen deuten dies an.
Während dieses Dialogs hatte ich ein anderes unvergeßliches Erlebnis. Ein zweiter Hinduprofessor sagte während einer anderen Kaffeepause: "Sie scheinen stark genug zu sein, um sich anhören zu können, was ich ihnen zu sagen habe: Ich werde es nicht beim offiziellen Treffen sagen, aber ich erkläre es ihnen. Wenn ihr Christen über christliche Liebe sprecht, denken wir Hindus unwillkürlich an eine Spinne. Eine Spinne, deren Körper christliche Liebe genannt eine klebrige Substanz ausscheidet, mit der sie ein Netz spinnt, in dem sie mich, eine harmlose Fliege, fangen möchte. So verstehen wir das Wort christliche Liebe, wenn ihr zu uns darüber sprecht. Wir wissen, daß ihr euch nicht wirklich um uns sorgt, sondern daß es euch nur darum geht, uns einzufangen und uns zu Mitgliedern eurer Kirchen zu machen."
Das ist die Art von Kommunikationslücke, die zwischen den Religionen besteht. Ich versichere ihnen, daß andere Religionen die Fähigkeiten der Christen anerkennen, gute Konferenzen zu organisieren, aber sie vertrauen nicht deren guten Absichten. Andere Religionen sind sehr mißtrauisch bezüglich der christlichen Position zum interreligiösen Dialog. Das ist ein Grund, warum wir von allem Anfang an klar machen müssen, was unsere Absichten und Motive für den Einsatz im interreligiösen Dialog sind.
Ich bin sicher, daß wir in den letzten 25 Jahren neue Erfahrungen gesammelt haben. 1965 wurde in Rom das Sekretariat für nichtchristliche Religionen, wie es damals genannt wurde jetzt heißt es Pontifikalrat für interreligiösen Dialog eingerichtet. 1971 etablierte der Weltrat der Kirchen ein Gremium für den interreligiösen Dialog. Während der vergangenen 20 25 Jahre engagierten sich die christlichen Kirchen in einer formalen Weise im Dialog, und wir haben in diesen zwei Jahrzehnten sehr viele Erfahrungen gesammelt. Diese Erfahrungen bilden die Grundlage, um darüber zu reflektieren, was bisher geschehen ist und wohin wir in der Zukunft gelangen wollen.
Der interreligiöse Dialog begann nicht vor 25 Jahren. Für jemanden wie mich, der aus Indien kommt, wo der Anteil der Christen bei etwa 2,6% der Bevölkerung liegt und wo acht verschiedene Seligionen zusammenleben, ist interreligiöser Dialog eine alte Sache. Ja, er ist älter als selbst das Christentum. Wir haben ein Edikt von Kaiser Asoka, das in einem Felsen eingemeißelt ist. Asoka Rar Kaiser des ersten indischen Reiches m 3. Jahrhundert vor Christus. Dieses Edikt ist äußerst faszinierend, weil es bereits im dritten Jahrhundert vor Christus einige Prinzipien des interreligiösen Dialogs festlegt. Das Edikt hat folgenden Inhalt:
"Der Kaiser ehrt die Mitglieder aller Sekten ob Asketen oder Hausbesitzer durch Geschenke und verschiedene Ehrenbezeigungen, aber er betrachtet Geschenke und Ehrenbezeigungen als flicht so wichtig im Narrgleich zur fortwährenden Unterstützung aller Sekten. Die Botschaft ist von Sekte zu Sekte unterschiedlich, aber es gibt doch eine gemeinsame Grundlage. Es ist für uns sehr wichtig, uns an diese gemeinsame Grundlage zu erinnern, damit wir unsere Zunge im Zaume halten, so daß wir nicht unsere eigene Sekte preisen oder eine andere zu falscher Gelegenheit herabsetzen. Zu bestimmten Gelegenheiten können wir dies sanft tun, aber bei anderen Gelegenheiten sollten wir andere Sekten ehren. Indem wir das tun, helfen wir unserer eigenen Sekte und helfen den anderen, während wir im anderen Fall uns selbst Schaden zufügen und auch den anderen einen schlechten Dienst erweisen. Wer seine eigene Sekte rühmt und die anderen herabsetzt, sei es aus blinder Loyalität oder mit der Absicht, die eigene Sekte in einem guten Licht erscheinen zu lassen, fügt seiner eigenen Sekte den größten denkbaren Schaden zu. Die beste Eintracht wird hergestellt, wenn ein jeder die Lehren der anderen hört und respektiert. Es ist der Wunsch des Kaisers, daß die Mitglieder aller Sekten über ihren Glauben Bescheid wissen und Rechtschaffenheit lehren."
Bereits im dritten Jahrhundert vor Christus hat Kaiser Asoka dieses Felsedikt in verschiedenen Teilen des Landes aufstellen lassen, das besagt, daß die verschiedenen Sekten einander respektieren sollten und daß sie sich nicht verächtlich machen, sondern einander, wenn immer möglich, loben sollten. Alle Sekten setzen sich für "Tamma", für die Rechtschaffenheit ein, sagte er. Dieses Prinzip wird in meinem Land nicht immer beachtet, aber es ist Teil unseres Erbes.
Asoka verwirklichte etwas, was wir heute nicht tun können. Er unterstützte nicht nur seine eigene Religion, den Buddhismus, sondern auch den Hinduismus, den Jainismus, die Schamanen und verschiedene andere Sekten, die zu der Zeit in Indien existierten. Er unterstützte sie mehr oder weniger in gleicher Weise. Er bevorzugte seine Religion nicht.
Inspiriert von Asokas Beispiel, möchte ich für diese globale Zusammenarbeit der Religionen Orientierungspunkte geben. In der Vergangenheit sind wir in den Dialog eingetreten, um einander zu verstehen, um miteinander zu kommunizieren. Ich denke, wir müssen jetzt weitergehen. Wir müssen uns ein klares Ziel setzen, daß ich in vier Punkte zusammenfassen möchte.
Moderne Technologie hat Kommunikation mit allen Teilen der Welt möglich gemacht, aber dieser technologische Fortschritt hat noch nicht die Einheit der Menschheit herbeigeführt. So lange wie Zerstörung, Krieg und Profit zu den Hauptzielen von Wissenschaft und Technologie zählen, wird die Welt nicht vereinigt werden.
Ich habe den Verdacht, daß ein weltlichliberales, humanistisches Gebilde diese Welt nicht vereinigen kann. Einige Intellektuelle mögen die Vision von einer weltlichliberalen, humanistischen Organisation, ähnlich der UN zum Beispiel, gutheißen. Aber die meisten Menschen unterstützen diese Idee nicht.
Wir vergessen oft, daß bei einer Weltbevölkerung von 5 Milliarden nur etwa eine Milliarde Menschen religiös ungebunden sind. Die übrigen vier Milliarden gehören zu einer Religion. Es gibt ungefähr 1,3 Milliarden Christen, vielleicht 900 Millionen Moslems, 700 Millionen Hindus, 350 Millionen Buddhisten, vielleicht 300 Millionen Konfuzianisten das ist schwer zu schätzen , ungefähr 70 Millionen Shintoisten, 20 Millionen Sikhs und die gleiche Zahl Juden.
Alle diese Religionen fürchten ein weltlich-liberales, humanistisches Gebilde, das die Einheit der Menschen herbeiführen soll. sie befürchten, daß die Religion noch mehr an den Rand gedrängt wird als es ohnehin schon der Fall ist, wenn weltliche Strukturen dominieren. Deshalb zögern sie, diese Art von Struktur zu befürworten. Ich glaube allerdings, daß der einzige Weg, um die Menschheit zu vereinigen, der ist, daß weltliche und religiöse Aspekte vereinigt werden.
Es gibt verschiedene Wege, nationale Grenzen zu überschreiten. Einen zeigen die multinationalen Wirtschaftskonzerne auf, die nationale Grenzen überwinden und eine Art globale Einheit herstellen. Aber viele Menschen, vor allem arme, fürchten eine vereinigte Welt, in der multinationale Konzerne dominieren, weil sie an den Rand gedrängt und betrogen werden könnten.
Eine andere Möglichkeit ist eben eine liberale, rein humanistische Institution ähnlich den Vereinten Nationen, die die Welt zu vereinigen sucht. Dies scheint aber nicht zu funktionieren. Ich erinnere mich an die 60er Jahre, als der Burmese U Thant UNO-Generalsekretär war. In einem Gespräch sagte er einmal zu mir:
'Was wir zusätzlich zu den Vereinten Nationen brauchen sind "Vereinte Religionen". Was er im Auge hatte, war so etwas wie eine zweite Kammer der Vereinten Nationen, in der alle Weltreligionen vertreten sind und sich Gedanken über Lösungen für die Probleme dieser Welt machen können. Weil Regierungen oft eine recht enge und begrenzte Sicht von Problemen und Lösungen haben, dachte er, daß für Religionen eine bessere Chance bestünde, moralische und gerechte Lösungen zu finden. Deshalb setzte er sich für ein zusätzliches Forum zu den Vereinten Nationen, für ein Forum der Religionen, ein. Aber niemand akzeptierte diese Idee, obwohl er Generalsekretär war.
Aber ich glaube, wir brauchen so etwas. Wir brauchen eine globale Versammlung der Religionen, allerdings nicht notwendigerweise unter der Schirmherrschaft der UNO. Wir können nicht erwarten, daß die UNO von Anfang an Schirmherr sein wird. Aber wenn es einmal eingerichtet und organisiert ist, mag sein Wert erkannt werden und Menschen beginnen dann, ihre Unterstützung zu geben. Es ist mein Traum, daß die Religionen ständig im Austausch miteinander stehen. Sie sollen nicht nur im Dialog stehen, sondern auch ihr Augenmerk darauf richten, wie der Frieden in dieser Welt bewahrt werden kann und wie die Religionen eine andere Grundlage für das Überwinden nationaler Barrieren schaffen können als multinationale Konzerne es tun. Multinationale Konzerne heben nationale Loyalitäten auf, aber ich glaube, daß Religionen das in einer wahrhaftigeren, moralischeren und humaneren Weise können.
Wenn die IRFWF ihre konkrete Arbeit beginnt, sind das die Fragen, die wir zu diskutieren haben. Und wenn auch andere Religionen die Bedeutung dieser Punkte erkennen, werden wir uns auf eine globale Zusammenarbeit der Religionen zubewegen.
Wenn ich mir diese Weltgemeinschaft vorstelle, würde ich drei Aspekte hervorheben, die die zukünftige globale Gesellschaft kennzeichnen sollten: Gerechtigkeit, Frieden und eine lebensfördernde Umwelt. Gerechtigkeit in einer Gesellschaft und zwischen den Gesellschaften, Frieden auf regionaler wie auf weltweiter Ebene und eine gesunde Umwelt im lokalen wie auch globalen Bereich.
Diese drei Hauptpunkte sollten immer gegenwärtig sein, wenn auch die IRFWF nur das Wort Frieden in ihrem Namen hat. Frieden verstehe ich im Sinne des alttestamentarischen, hebräischen Shalom, das Gerechtigkeit genauso einschließt wie das Blühen von Pflanzen und Bäumen und das Leben der Tiere. All dies muß Teil unseres Konzeptes von Frieden sein, der dieser globalen Gemeinschaft zugrunde liegt. Es wird sicherlich auch eine gesetzgebende Körperschaft notwendig sein, sowie eine Exekutive und eine Art Parlament oder entscheidungstreffende Institution. Aber das Wichtigste ist die Betonung von wahrem Frieden. wahrer Gerechtigkeit und wirklicher Gesundheit der Umwelt.
Ich glaube, daß diese drei Dinge unteilbar sind. und daß das Konzept von Shalom alle drei einschließt. Wenn wir Gerechtigkeit anstreben. können wir sie nicht ohne Frieden haben. und wir können den Frieden nicht schaffen ohne Gerechtigkeit und ohne gesunde Umwelt. Diese drei Dinge sind miteinander verbunden. Verbunden sein müssen auch die lokale, regionale und weltweite Ebene. Wenn wir nur auf der globalen Ebene arbeiten, wird nichts geschehen. Arbeiten wir nur auf der regionalen Ebene, wird es nicht funktionieren. Die lokale Ebene ist die Wurzel. Die Arbeit muß gleichzeitig auf der lokalen, der regionalen und der internationalen Ebene geleistet werden, wobei wir uns auf Gerechtigkeit, Frieden und die Integrität der Schöpfung konzentrieren.
Der dritte Punkt, den ich betont sehen möchte, ist schwer zu erklären. Ich hoffe, daß die IRFWF der transzendenten Dimension der menschlichen Existenz besondere Aufmerksamkeit schenkt. Ich möchte nicht den Begriff "Gott" benützen, weil meine buddhistischen Freunde es vorziehen, von der transzendenten Dimension unserer Existenz" zu sprechen. Die weltliche Kultur glaubt, daß diese Weit, die wir uns mit unseren physischen Sinnen erschließen, die einzige Welt ist. die existiert. Ich glaube, daß sie sich sehr irren . Sogar die säkulare Welt hält nun nach Zeichen der Transzendenz Ausschau. Aber sie sind frustriert von ihrem \'ersuch, aus ihrer Klaustrophobie auszubrechen.
Wir interreligiösen Aktivisten sollten nicht bloß politisch. sozial oder ökonomisch orientiert Sehe sondern sollten gleichzeitig unsere politische, soziale Oder ökonomische Ausrichtung in der transzendenten Dimension wurzeln. Die Welt, die ich heute erlebe, ist nur eine Dimension des Universums. Das Universum hat noch viele andere Dimensionen und wir sind im Moment nicht in der Lage, sie zu erleben, obwohl viele versucht haben, wissenschaftliche BeschreiDungen von diesen anderen Dimensionen zu geben. Wir, die wir uns auf ein religiöses Erbe stützen und die sich immer dieser anderen Dimension bewußt waren, müssen nun von unseren traditionellen Positionen abrücken, um diese Transzendenz auch der Welt, die wir erleben, zu vermitteln.
Transzendenz bedeutet nicht, Raum und Zeit zu übersteigen. Es gibt Leute, die glauben, daß nur außerhalb der Zeit wirkliche Realität existiert. Dieses Extrem und der Glaube, daß nur diese Welt "real" ist sind beide falsch. Transzendenz ist etwas, was von Zeit zu Zeit in unsere Welt eindringt und die Kultur ist der Bereich, wo das geschieht. Bei Kultur meine ich Religion wie auch Wissenschaft und Technik. Kultur ist das, was die Menschen mit der Natur machen mittels Wissenschaft, Technologie, Kunst, Literatur, Musik, Tanz, Drama, Liturgie und Ritual. All dies ist Kultur, und in diesen kulturellen Formen bricht die Transzendenz zu uns durch. Intellektuell kann das Transzendente nicht erfaßt werden. Es muß durch Symbole und Rituale erfaßt werden. Es ist sehr wichtig zu erkennen, welche kulturelle Kreativität in jeder Religion existiert und in welchem Ausmaß sich das Transzendente durch die Kultur, durch Schönheit, durch Wahrheit, durch das Göttliche Licht selbst ausdrückt.
Ich möchte diese Dimension des Transzendenten und seine Beziehung zum Existierenden in der Zukunft als einen Schwerpunkt der IRFWF sehen. Das bedeutet zum Beispiel, daß wir die Institutionen, die wir geschaffen haben, überprüfen müssen. Unser weltliches System hat gegenwärtig eine besondere Institution genannt Erziehung , die unseren Geist und unsere Persönlichkeit formt und die unser grundlegendes Verständnis von der Wirklichkeit bestimmt. Und dieses Erziehungssystem, daß wir in Europa seit der Aufklärung entwickelt haben, ist sehr destruktiv. Es fördert in einer Person nicht alle Fähigkeiten, die in ihr liegen, ausgenommen die Bereiche Wissenschaft, Technologie, Produktion und Manipulation der Umwelt. Es muß noch andere Aspekte im Erziehungssystem geben, die das Transzendente in der Kultur stimulieren. Das Erziehungssystem selbst muß geändert werden, damit Kultur kreativ sein kann.
Die staatlichen Institutionen, die heute angeblich säkular sind, müssen ebenfalls radikal transformiert werden, um es der kulturellen Kreativität zu erlauben, sich zu manifestieren. Unsere gesamten akademischen Einrichtungen und Universitäten sind Gefangene des Weltlichen und wurden zu Orten, wo die Suche nach der Realität Formen annimmt, die ' von der modernen Wissenschaft nicht einmal mehr befürwortet werden. Diese Veränderungen sind Teil der notwendigen Wiedergeburt der Kultur. Ein anderes Beispiel ist das Heilen. Unsere westliche Medizin fügt den Menschen sehr viel Schaden zu. sie rettet Menschen, aber sie fügt auch viel Schaden zu. Die Heilmethoden der Welt müssen noch einmal untersucht werden, so daß sich letztlich das Transzendente auch durch das Heilen manifestieren kann.
Ich möchte erleben, daß viele dieser Transformationen im Bereich der Kultur und in den sozialen, erzieherischen, staatlichen, politischen, ökonomischen Institutionen stattfinden, so daß sich das Transzendente manifestieren kann. Es kann sich nicht durch Predigten manifestieren, sondern nur durch eine Transformation der Institutionen und durch Kultur. Wissenschaft und Technologie können als ein wichtiges Werkzeug bei diesem Prozeß dienen, aber nur als ein Werkzeug, das Menschen benützen sollen, um das Los der Menschheit zu erleichtern und nicht als dominierender Meister.
Der vierte wichtige Bereich, auf den man sich in den letzten 20 Jahren konzentriert hat, ist der Bereich der "geistigen Erziehung" oder "geistigen Schulung". In jeder Religion sind die Doktrinen und Dogmen weniger wichtig als die geistige Erziehung. Wir konzentrieren uns zu oft auf den intellektuellen Gehalt einer Religion und nicht genug auf die geistige Erziehung, die uns helfen soll, im Leben zurechtzukommen. Dies ist der wichtigere Teil einer Religion, wichtiger als das, was die Schriften aussagen oder was Theologen der verschiedenen Religionen vertreten.
Wir sollten nicht nur über diese Erziehung diskutieren, sondern diese geistige Erziehung anderer Gemeinschafen erfahren. Nur wenn jemand an einer geistigen Schulung teilnimmt, sei es Yoga-Meditation, ZenMeditation, die Namaz der Muslims oder andere Formen der Anbetung und der Spiritualität, Beginnen wir andere Religionen zu verstehen. Indem wir teilnehmen, erleben wir eine andere Dimension. Viele der Heute, die sehr skeptisch dem interreligiösen Dialog gegenüberstehen, sind Lurch solch eine Erfahrung tief beeindruckt worden. Einer der wertvollsten Aspekte bei der ersten Versammlung der Weltreligionen im Jahre 1985 war, laß jede Gruppe in einer solchen Weise ihre Anbetung praktizierte, daß jeder Stritt dazu hatte. Dieses Miteinander-teilen hinterließ einen stärkeren Einruck als all die offiziellen Ansprachen, die gehalten wurden.
Aber so eine Erfahrung sollte sehr sorgfältig vorbereitet werden und darf nicht bloß eine oberflächliche Begegnung sein. Manchmal müssen wir zwei, drei Tage oder sogar eine ganze Woche in einer Gemeinschaft leben, um ihre Spiritualität kennen zu lernen. Nur wenn wir total in das Leben einer Gemeinschaft "eintauchen", wird interreligiöse Begegnung real. Dann beginnen wir ein gemeinsames, gegenseitiges Vertrauen zu entwickeln und die Möglichkeiten für eine bessere Zukunft der Menschheit zu erahnen.
Ich möchte ihnen diese vier Punkte vorlegen, die ich als eine mögliche Orientierung für die zukünftige Arbeit der IRFWF betrachte. Es besteht eine große Notwendigkeit für die IRFWF und ihre Vision, weil die säkulare Zivilisation auf der Grundlage des liberalen Humanismus und von Wissenschaft und Technologie in eine Sackgasse geraten ist. sie kann sich nicht mehr entwickeln. Besonders für die Menschen im Westen ist es sehr schwer, aus dieser Situation auszubrechen. Es ist sehr schwierig, von dieser Einbindung loszukommen, in die wir durch die westliche Erziehung geraten sind. Aber wir müssen da durch geistige Schulung, durch neue geistige Praktiken, durch Askese, durch Meditation, durch Gebet, durch Anbetung, durch Ausrichtung auf das Göttliche herauskommen. Dann wird das Göttliche zu uns kommen. Die Welt wird dadurch transformiert; nicht durch uns als Aktivisten, die versuchen, Veränderungen mit physischer Kraft und durch Wissenschaft und Technologie herbeizuführen.
Wir brauchen diese Offenheit für das Transzendente, die wir durch geistige Schulung erreichen. Es geht nicht nur um unsere persönliche Erlösung, sondern daß durch uns die Umwandlung der Gesellschaft beginnen kann.